Internationaler Seegerichtshof: Staaten müssen die Ozean vor dem Klimawandel schützen. Das gilt auch für die Schweiz

Als Ozeanverantwortung Schweiz sind wir überzeugt, dass unter anderem der Umfang der maritimen Geschäftstätigkeit von Unternehmen mit Sitz in der Schweiz dazu führt, dass die Schweiz auch Verantwortung für die Ozeane übernehmen muss. Allerdings kann die offiziele Politik immer wieder sich davor drücken, indem sie die Verantwortung den Flaggenstaaten zuweist.

Im Mai hat nun der Internationale Seegerichtshof in Hamburg einstimmig festgestellt, dass alle Vertragsstaaten des UN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ) verpflichtet sind, die Meeresverschmutzung durch den Klimawandel zu unterlassen. Die Schweiz ist seit 2009 Mitglied des SRÜ. Somit bezieht sich die Stellungnahme des Seegerichtshofs auch auf die Schweiz.

«Die Verpflichtung, nach Artikel 192 des Übereinkommens zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt zu schützen und zu bewahren, hat einen weiten Geltungsbereich und umfasst jede Art von Schädigung oder Bedrohung der der Meeresumwelt», fasst das Gericht in der Pressemitteilung zusammen. «Nach dieser Bestimmung haben die Vertragsstaaten die besondere Verpflichtung, die Meeresumwelt vor den Auswirkungen des Klimawandels und der Versauerung der Meere zu schützen.»

Dieses Übereinkommen zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt ist Teil des UN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ). «Nach Artikel 192 des Übereinkommens sind die Vertragsstaaten verpflichtet, den Risiken vorzubeugen, die sich aus Auswirkungen des Klimawandels und der Versauerung der Meere ergeben. Diese Verpflichtung ist eine Sorgfaltspflicht. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht sind sehr hoch, angesichts des hohen Risikos einer schwerwiegenden und irreversiblen Schädigung der Meeresumwelt durch Auswirkungen des Klimawandels und der Versauerung der Meere. Nach Artikel 194 Absatz 5 des Übereinkommens haben die Vertragsstaaten die besondere Verpflichtung, seltene oder empfindliche Ökosysteme sowie den Lebensraum erschöpfter, bedrohter oder gefährdeter Arten und anderer Formen des marinen Lebens vor den Auswirkungen des Klimawandels und der Versauerung der Meere zu schützen und zu erhalten. Nach den Artikeln 61 und 119 des Übereinkommens sind die Vertragsstaaten insbesondere verpflichtet, die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, um die durch die Auswirkungen der Klimaänderungen und die Versauerung der Ozeane bedrohten lebenden Meeresschätze zu erhalten. Bei der Ergreifung solcher Massnahmen berücksichtigen die Vertragsstaaten unter anderem die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse und die einschlägigen ökologischen und wirtschaftlichen Faktoren. Diese Verpflichtung erfordert die Anwendung des Vorsorgeprinzips und eines Ökosystemansatzes.»i

Was heisst das konkret?

Der Klimawandel heizt die Ozeane auf Rekordtemperaturen. Das Wasser enthält deswegen weniger Sauerstoff, und das vom Meer aufgenommene CO2 wird zu Kohlensäure. Das Vorsorgeprinzip bedeutet also unter anderem, die Emissionen von CO2 zu reduzieren, da dieses die Meere schädigt.

Zwar ist die Schweiz gemäss der internationalen Klimaabkommen nur für die im Inland entstehenden Emissionen verantwortlich. Diese betragen rund ein Tausendstel der weltweiten Klimagasemissionen. Doch entstehen durch Geschäfte im Ausland weitere Klimagase. Gemäss einer Studie des Bundesamts für Umwelt BAFU ist allein der Treibhausgas-Fussabdruck der von der Schweiz aus gehandelten Güter der Rohstoffhändler 11-mal höher als jener aus dem Gesamtkonsum der Schweiz.ii Eine zusammen mit dem Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und dem WWF verfasste Studie von McKinsey kommt zum Ergebnis: «Wir schätzen, dass die Schweiz durch hier ansässige internationale Unternehmen mittels direkt kontrollierte und importbedingte Emissionen einen Einfluss auf das 7- bis 10-fache der Inlandemissionen hat, bzw. noch deutlich mehr, wenn man den gesamten Einflussbereich inklusive Wertschöpfungsketten berücksichtigt.» Für Emissionen durch Finanzgeschäfte komme «nochmal ein 14- bis 18-Faches dazu beziehungsweise noch mehr, wenn man weitere Aktivitäten wie zum Beispiel Investitionen in Staatsanleihen mitberücksichtigt.»iii Die AutorInnen folgern: «Die Schweiz hat zumindest einen indirekten Einfluss auf geschätzt 2 bis 3 Prozent der weltweiten Emissionen, was ihre Einflusssphäre in die Grössenordnung der inländischen Emissionen von Indonesien, Japan und Brasilien setzt.» In der Fussnote kommentieren sie «nur vier Länder (China, USA, Indien und Russland) haben höhere Emissionen.»

Daraus folgt: Der Einfluss der Schweizer Geschäftstätigkeit und des Verbrauchs fossiler Energie auf die Ozeane ist gross. Einerseits durch die von hier aus gemanagten umfangreichen Seetransporte, doch ebenso durch die allgemeinen Klimagasemissionen.

Die Stellungnahme des Internationalen Seegerichtshofs legt also eindeutig dar, dass die Schweiz durch ihre Mitgliedschaft im SRÜ verpflichtet ist, die Meere zu schützen. Da hilft keine Ausrede bezüglich «Flaggenstaaten», wie bei der Schifffahrt.

Deswegen fordern wir, dass zum Schutz der Ozeane die Schweiz nicht nur Ziele wie Netto Null 2050 formuliert, sondern konkrete Massnahmen ergreift. Dies auch im Eigeninterresse: «Wenn der Ozean erstickt, erstickt alles Leben», stellt eine unter anderem von offiziellen Stellen verantwortete Ausstellung im Maritimen Museum von La Rochelle fest.

iInternational Tribunal For The Law Of The Sea, Press Release 21 May 2024: Tribunal Delivers Unanimous Advisory Opinion in Case No. 31, Request Submitted to the Tribunal by the Commission Of Small Island States on Climate Change and International Law, https://www.itlos.org/fileadmin/itlos/documents/press_releases_english/PR_350_EN.pdf

iiNiels Jungbluth, Christoph Meili (2018), Pilot-study for the analysis of the environmental impacts of commodities traded in Switzerland, ESU-services Ltd., Schaffhausen: ESU-services Ltd., S. 29

iiiFelix Wenger, Marco Ziegler, Annika Wulkop, Alexander Keberle (2022): Klimastandort Schweiz, Schweizer Unternehmen als globale Treiber für Netto-Null, McKinsey & Company,
https://www.mckinsey.com/ch/~/media/mckinsey/ locations/europe%20and%20middle%20east/ switzerland/our%20insights/klimastandort%20 schweiz/klimastandort-schweiz.pdf